In einem Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern mit meiner damals achtjährigen Tochter habe ich nach Aktivitäten gesucht, die uns beide interessieren. Im Internet hatte ich einen Film über einen Ranger gefunden, der Seeadlerfotografie anbietet. Ich war sofort begeistert, ich hatte noch nie einen dieser beeindruckenden Greifvögel gesehen. Fotografie hatte mich schon immer interessiert, die Leidenschaft war allerdings in den Jahren davor eingeschlafen. Als wir dann zusammen mit sechs Naturfotografen in das Elektroboot gestiegen sind, kam ich mir schon etwas fehl am Platz vor. Die Fotografen hatten alle ein professionelles Equipment und wir jeweils nur eine einfache Kamera mit geringer Brennweite. Ich war unvorbereitet und überfordert, die schnellen Vögel einzufangen. Der Ranger sah sich meine hilflosen Versuche und sagte: „Es muss nicht ‚tack‘ machen, es muss ‚tack, tack, tack‘ machen.“ Mitgenommen hatte ich zwar kein Foto, aber ein großartiges Erlebnis. Adler und Milane haben mich so sehr beeindruckt, dass ich beschlossen hatte, es irgendwann noch einmal zu versuchen. Zwei Jahre später war ich nochmal bei dem Ranger und besser vorbereitet. Ich habe eine gute Fotoausbeute mitgenommen. Das war großartig und ich kann dies jedem empfehlen. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass es mir zu leicht gemacht wurde. Das war kein echtes Wildlife, die Greifvögel wurden fast auf dem Silbertablett serviert.
Seitdem bin ich regelmäßig auf eigene Faust in den unterschiedlichsten Naturschutzgebieten unterwegs. Schnell hatte ich die erreichbaren Hotspots im und um den Ostwestfälischen Raum kennengelernt. Wie wahrscheinlich jeder Naturfotograf hatte ich mit Misserfolgen zu kämpfen, die an meiner Motivation knabberten. Jedes Mal, wenn ich kein Foto oder nur einen unscharfen Buntspecht im Gegenlicht mit nach Hause gebracht hatte, war ich niedergeschlagen. Tierfotografie hat wahrscheinlich mehr als andere Fotografie-Genres viel mit Zufall zu tun. Nie weiß man, wann etwas Spannendes passiert. Mit dieser Erkenntnis hatte ich zwei Möglichkeiten: Aufgeben oder meine Vorgehensweise verbessern. Da Aufgeben war keine Option war, musste ich lernen die Wahrscheinlichkeit für Erfolgserlebnisse zu erhöhen. Ich bin wahrscheinlich nie am Ende dazuzulernen, aber meine bisherigen Erkenntnisse teile ich gerne.
Vorbereitung
Interessante Hotspots im näheren Umfeld lernt man schnell über den Austausch mit anderen Naturfreunden kennen. Schwieriger wird es in weiteren Entfernungen. Es existieren mehrere Internetseiten, auf denen vor allem Vogelsichtungen gemeldet werden. Ich habe angefangen, alle interessanten Sichtungen und Tipps in meinem Google Maps Account zu sammeln. So haben sich nach und nach interessante Regionen auf meiner Maps-Seite zusammengefügt. Die umfangreichste Quelle für Sichtungen ist das Portal ‚Ornitho.de‘. Wenn man sich hier registriert, findet man sehr viele Vogelsichtungen der letzten sieben Tage, übersichtlich nach Regionen getrennt. Wenn man selbst ca. 10 Meldungen pro Monat durchführt, hat man erweitere Funktionen wie zum Beispiel eine Suche nach seltenen Arten über die sieben Tage hinaus. ‚Ornitho.de‘ existiert in mehreren Ländern. Ein weiteres Portal ist ‚eBird‘. Dort werden deutlich weniger Sichtungen gemeldet, dafür sind die Suchfunktionen umfangreicher. Bei der Planung einer Tour recherchiere ich nochmal gezielt auf den Portalen nach der Zielregion. Viele gute Tipps habe ich ebenfalls in den leider ausverkauften Büchern ‚Vögel beobachten in Norddeutschland‘ in ‚-Ostdeutschland‘ und ‚-Süddeutschland‘ gefunden. Als e-Book sind sie noch erhältlich.
Sinne schärfen
Mit dieser Vorbereitung weiß ich dann, mit welchen Vogelarten ich vor Ort zu rechnen habe. So kann ich meine Sinne schärfen, auf einen bestimmten Gesang hören und die vermutlichen Habitate aufmerksamer beobachten. Mit der Zeit konnte ich immer mehr Vogelstimmen identifizieren und auf besondere Stimmen achten. Wenn ich einen Gesang erkannt habe, weiß ich zudem, wo ich den Vogel suchen muss. Zum Beispiel sind Sommergoldhähnchen meistens oben in der Baumkrone, wobei Baumläufer immer den Hauptstamm eines Baumes hochlaufen. Am Anfang habe ich die Erkennungs-App ‚BirdNet‘ zur Hilfe genommen, die recht zuverlässig ist. Auch heute hilft mir die App, wenn ich unsicher bin.
Ausdauer
Geduld und Ausdauer sind wohl die wichtigsten Eigenschaften, die man für die Naturfotografie mitbringen muss. Es kann schon recht lange dauern, bis es zu einer Situation kommt, die lohnt, festgehalten zu werden. Um zwischendurch eine Rast einzulegen, habe ich immer einen kleinen, faltbaren Dreibeinhocker dabei. Ein nützlicher Nebeneffekt: durch die geringe Sitzhöhe erscheint man für Vögel nicht so bedrohlich und die Fluchtdistanz sinkt. Wenn es gut läuft, kann man schon mal die Zeit vergessen, weswegen ich immer Müsliriegel und Wasser dabeihabe. Bei aller Geduld muss man seine Euphorie im Griff behalten, wenn dann ein scheues Tier wie ein Eisvogel vor einem auftaucht. Mit möglichst langsamen Bewegungen und auf keinen Fall hektisch versuche ich dann das Zielmotiv einzufangen.
Motivation
Um früh aufzustehen und nicht die Ruhe zu verlieren, wenn mal stundenlang nichts passiert, benötigt man viel Motivation. Anfangs wurde ich unruhig und habe schnell aufgegeben. Heute genieße die Zeit allein in der Natur sehr bewusst. Einen Sonnenaufgang zu beobachten und das Erwachen der Natur erleben zu können, ist – auch ohne Foto – ein großartiges Erlebnis. Nach einem solchen Erlebnis fahre ich mit guter Laune nach Hause.
Anfangs habe ich viele Bilder auf der Festplatte gespeichert und mich nicht entscheiden können, welches Bild nun das Beste ist. So hatte ich immer das Gefühl, ich muss mich damit nochmal beschäftigen, um den letzten Schliff in der Nachbearbeitung zu machen und doppelte Bilder zu löschen. Das Archiv auf der Festplatte wuchs und wuchs. So hatte ich immer das Gefühl, ich müsste mich noch einmal damit beschäftigen. Ich wollte mich zwingen, das beste Bild herauszusuchen und es nachzubearbeiten. Aber dieser Aufwand allein für das Fotoarchiv auf meiner Festplatte erschien mir nicht angemessen. Nicht zuletzt als Motivation, ein Bild wirklich fertigzustellen, habe ich eine Webseite erstellt, auf der ich das Ergebnis der Bearbeitung präsentieren kann. Dazu zeige ich meine Bilder manchmal bei Vorträgen im kleinen Rahmen. Wenn ich dann anderen eine Freude mit meinen Bildern mache, habe ich das Gefühl, dass ich die Fotos nicht nur für mich mache, was mich zusätzlich motiviert.
Technik nutzen
Technik kann dabei helfen, die Wahrscheinlichkeit für gute Fotos zu erhöhen. Zum Beispiel ist ein schneller Autofokus beim Fotografieren von schnellen Objekten, wie bei der Vogel- oder Sportfotografie, sehr wichtig. Doch letztendlich macht immer noch der Fotograf die Fotos und nicht die Technik. Wenn dann eine überraschende Situation passiert, muss es schnell gehen. Müsste ich erst überlegen, wie die Kamera eingestellt ist und was für die Situation verändert werden muss, ist es schnell zu spät. Ich nutze die programmierbaren Programme meiner Kamera und stelle diese auf die zwei typischen Situationen ein. Mein liebstes Fotomotiv ist ein Adler im Flug und der kommt immer, wenn man nicht mit ihm rechnet und ist auch genauso schnell wieder weg. Deshalb steht meine Kamera immer auf der passenden Grundeinstellung (1/2000 sek, f8 und ISO-Automatik passend zur Lichtsituation, bei 20-40 Bilder/sek). Meine zweite Grundeinstellung ist ein statisches Objekt, wie ein im dunklen Baum sitzender Vogel (1/320, f8, ISO-Automatik, mit 10 Bilder/sek). Die ISO-Automatik und die Belichtungszeit passe ich dann an die jeweiligen Lichtverhältnisse an. So muss ich nur das Programm wechseln, wenn ich ein statisches Objekt fotografieren möchte. Da die Grundeinstellung immer gleich ist, kann ich das Programm sehr schnell und sogar blind umstellen, ohne das Fotoobjekt aus dem Blick zu lassen.
Als ich ein paar Tage an der Ostseeküste verbracht habe, hat sich diese Strategie ausgezahlt. Im Anklamer Peenetal bin ich morgens mit der Kamera am Anschlag auf der Pirsch gewesen. Plötzlich breitete ein ca. 5 Meter entfernt im Schilf sitzender Seeadler seine Flügel aus und flog davon. Ich habe mich sehr erschrocken, der Adler scheinbar auch. Nach dem ersten Schreck habe ich die Kamera hochgerissen und konnte ihn scharf ablichten. In diesem Moment wäre ich niemals in der Lage gewesen nachzudenken, wie die Kamera derzeit eingestellt ist und ob ich hier etwas ändern muss.
Ein abfliegender Vogel mit ausgebreiteten Flügeln ist ein schönes Motiv. Leider geht es meistens so schnell, dass man dieses kaum einfangen kann. Hilfreich ist da die Funktion ‚Pre Capture‘, mit der ein sitzender Vogel fokussiert werden kann, wobei der Auslöser nur halb durchgedrückt ist. Die Kamera speichert zwar die Bilder temporär, schreibt diese aber nicht auf die Karte. Wenn der Vogel dann endlich abfliegt, drückt man den Auslöser durch und die letzten temporären Bilder werden auf die Karte geschrieben.
Licht
Licht ist ein entscheidender Faktor für besondere Fotos. Morgens, wenn die Sonne langsam aufsteigt, ist das Licht deutlich weicher. Landschaften wirken so viel lebendiger. Auch bei Tierfotos wirken Augen, Gefieder oder Fell deutlich interessanter. Ich versuche fast immer, schon vor dem Sonnenaufgang dort zu sein, wo ich Fotos machen möchte. Hinzu kommt, dass bei Sonnenaufgang Tiere deutlich aktiver sind als im übrigen Tagesverlauf.
Es gibt Naturfotografen, die Ihren Ort bei der Fotografie nicht ändern. Ich sitze bei der Arbeit oft am Schreibtisch und gehe als Ausgleich gerne ein paar Kilometer. Deshalb nehme ich nur das nötigste Equipment mit. Bei der Tourplanung schaue ich mir im Vorfeld mit Planungsapps wie ‚Photo-Pills‘ oder ‚Planit Pro‘ den Sonnenverlauf an. Manchmal kann ich so den Weg planen, dass die Sonne von hinten, oder zumindest nicht von vorn kommt. Es ist schon sehr ärgerlich, wenn man eine besondere Situation erlebt, aber wegen des Gegenlichts kein gutes Foto möglich ist.
Wenn ich heute eine Fototour mache, bin ich mit meiner Ausbeute meistens ganz zufrieden. Mein Equipment passt inzwischen auch zu meiner Vorgehensweise. Die Kamera macht nun ‚tack, tack, tack‘ und ich bin deutlich besser vorbereitet als bei meiner ersten Seeadlertour.
Equipment
Ich nutze für die Vogelfotografie eine Fujifilm APS-C Kamera X-H2s mit dem Fujinon XF500 mm. Für Insekten und Pflanzen verwende ich das Makro-Objektiv Fujinon XF80. Landschaften und Architektur fotografiere ich zumeist mit einer Mittelformatkamera Fujifilm GFX 100s und einem Weitwinkelobjektiv. Weitere wichtige Ausrüstungen sind Stativ und Filter. Ich verwende Gitzo- und Novoflex-Stative mit einem Flexshooter-Kugelkopf und Kase-Filter. Mit dem Dreibeinhocker von ‚Walkstool‘ bin ich ebenfalls sehr zufrieden. Das Ganze verstaue ich in meinen ‚NYA-Evo Fjord‘-Rucksack. Hier finden zwei Kameras mit Tele- und Weitwinkelobjektiv Platz.
Stefan Kull
Stefan Kull hat bereits seit seiner Schulzeit Interesse an der Fotografie. Nach jahrelanger Fotografie-Abstinenz hat er die Leidenschaft für Naturfotografie und insbesondere für die Vogelfotografie entdeckt. Er teilt seine Naturerlebnisse und Fotos auf seiner Homepage › skull-nature.com. Falls Sie Fragen an Stefan Kull haben, erreichen Sie ihn per Mail unter